Die Gefühlsebene ist es, die fast unser gesamtes inneres Leben beherrscht, auch wenn uns unserer Gefühle oft nicht wirklich bewusst sind. In unserer Kultur haben wir gelernt, uns zu verkrampfen und Gefühle zu unterdrücken -Gefühle zeigen – gehört sich nicht für einen Mann, und Frauen werden auch nur ganz bestimmte Gefühle zugestanden.
Wenn wir nicht lernen, über unsere Gefühle zu sprechen oder sie überhaupt wahrzunehmen, bleiben wir ein Leben lang unfrei und in uns selbst verstrickt. Für viele Meditierende ist es ein langer und mühsamer Prozess, eine bewusste Verbindung mit ihren Gefühlen aufzunehmen. Auch in der buddhistischen Psychologie gilt das Bewusstmachen der Gefühle als entscheidend für den Prozess des Erwachens. In einer Lehrrede mit dem Titel „Der Kreis des bedingten Entstehens“ erklärte der Buddha, wie menschliche Wesen sich in sich innerlich verstricken. Es ist der Bereich der Gefühle, in dem sich unsere Gefangenschaft und unsere Befreiung abspielt. Wenn angenehme Gefühle entstehen und wir sie automatisch festhalten versuchen, oder wenn unangenehme Gefühle entstehen und wir versuchen, sie zu vermeiden, setzen wir eine Kettenreaktion von Verstrickung und Leiden in Gang. Das hält den Angstkörper in Bewegung.
Wenn wir jedoch lernen, unsere Gefühle bewusst wahrzunehmen, ohne sie festzuhalten oder abzuwehren, können sie durch uns hindurchziehen wie wechselhaftes Wetter und wir haben die Freiheit, sie zu empfinden und dann ziehen zu lassen wie der Wind. Es kann eine sehr interessante Meditationsübung sein, uns ein paar Tage lang ganz speziell auf unsere Gefühle zu konzentrieren. Wir können jedes Gefühl benennen und feststellen, welches wir fürchten, in welches wir verstrickt sind, welches Geschichten produziert und wie wir sie befreien können.
„Frei“ bedeutet nicht frei von Gefühlen, sondern frei, ein jedes zu empfinden und es weiter ziehen zu lassen, ohne Furcht vor der Bewegung des Lebens. Das lässt sich auf alle problematischen Muster anwenden, mit denen wir es zu tun haben. Wir können wahrnehmen, welche Gefühle sich im Kern einer jeden Erfahrung befindet und uns ihm ganz öffnen. Damit nähern wir uns der Freiheit.
Das alles mag nach einer sehr komplizierten und anstrengenden Art von Meditation klingen, doch in der Praxis, ist es sehr einfach. Die Grundregel lautet schlicht; sitzen und alles wahrnehmen, was auftaucht. Wenn es sich um zwanghaft wiederholte Muster handelt, erweitern sie das Feld der Wahrnehmung. Dann achten sie darauf, was sie akzeptieren sollen. Solche Muster sind deshalb so aufdringlich, weil ein gewisser Widerstand da ist. Irgendeine Abwehr oder Angst oder ein Urteil halten sie fest. Diese Verkrampfung besteht aus Angst. Um sie aufzulösen müssen wir das erkennen, was da ist und unser Herz fragen; Wollen wir das ändern? Gibt es da ein Gefühl, eine Meinung oder eine Empfindung, worin das eingeschlossen ist, was wir loslassen wollen? Halten wir etwas fest? Ist da eine Angst? Wir müssen untersuchen, welcher Aspekt, dieses widerholten Musters nach Akzeptanz und Mitgefühl verlangt und uns selber fragen; „Kann ich all das, dem ich mein Herz verschlossen hatte, mit Liebe annehmen? Das bedeutet nicht, es aufzulösen – es ist nur die einfache Frage; „Was soll ich akzeptieren?“ Wir müssen uns öffnen um ihre gesamte Energie in Körper, Herz und Geist zu spüren, wie stark sie auch sein mag. Dazu gehört auch, dass wir uns unseren Reaktionen auf diese Erfahrung öffnen und die dabei entstehende Angst, Abwehr oder Verkrampfung bewusst wahrnehmen und dann das alles akzeptieren. Nur so kann es sich lösen.
Aus dem Buch von Jack Kornfield – Frag den Buddha und geh den Weg des Herzens Seite 138