Rituale sind ein Mittel, um unseren Geist zu vertiefen und dessen Energie in alle Bereiche unseres Lebens einfliessen zu lassen. Rituale können uns aber auch für die Erfahrung der Selbstvergessenheit öffnen, insofern wir sosehr mit den entsprechenden Worten und Handlungen eins werden, dass für unser Bewusstsein keine anderen Gegenstände mehr existieren.
Robert Aitken
In erster Linie ist Gasshô (das rituelle Verbeugen) eine Form der Achtsamkeit: Ich beginne mit ganzem Bewusstsein. Ich beende mit ganzem Bewusstsein. Nichts im Zen macht man “irgendwie”. Alles macht man mit ganzem Bewusstsein, mit Achtsamkeit.
Johanna Schuh.
Gasshô bedeutet, dass wir beide Handflächen zusammenlegen und die in dieser Weise zusammengelegten Hände dann soweit erheben, dass unsere beiden Zeigefinger beinahe die Nase berühren. In dieser Haltung verbeugen wir uns, wann immer wir das Dôjô betreten oder verlassen. Aber auch vor dem Zazen verbeugen wir uns.
Robert Aitken
Wir verbeugen uns im Uhrzeigersinn zuerst Richtung Raum zu den anderen Meditierenden, dann vor unserem Sitzkissen oder vor unserer Sitzbank, auf dem/der wir schon unzählige Stunden übend verbracht haben). Gasshô bedeutet wörtlich übersetzt: Ich verbeuge mich vor dem Göttlichen in dir .
Gasshô drückt vollkommene Einheit aus, Nicht-Dualität. Die rechte Hand repräsentiert das Ego, das Ich. Die rechte Hand ist mit der linken Gehirnhälfte verbunden, und die linke Gehirnhälfte ist die der Sprache, der Begriffe, der Dualität. Sie schafft die Trennung: „Ich und die anderen“, „Ich und die Welt“.
Die linke Hand hingegen entspricht der rechten Gehirnhälfte. Die rechte Gehirnhälfte nimmt die Dinge direkt und ganzheitlich wahr, ohne Trennung, intuitiv und unmittelbar. Sie entspricht nicht dem dualistischen Geist. Es ist die Hirnhälfte der Intuition, der Kunst. (Johanna Schuh). Durch die Zusammenlegung der beiden Handflächen verbinden sich Ratio und Intuition.
Herbert Eberle
Das sind moderne Erklärungen, traditionell sagt man, die linke Hand ist Buddha, das, was jenseits des Ichs liegt, und die rechte Hand ist das Ich. Die beiden werden beim Gasshô Einheit.
Johanna Schuh
Die in Gasshô zusammengelegten Hände lassen die Einheit zwischen Ego und Kosmos, zwischen dem Materiellen und dem Geistigen entstehen.
(Bovay, Kaltenbach, de Smedt).
Diese Geste ist wichtig und wirklich Ausdruck von Zazen; den Respekt für alle Lebewesen auszudrücken, ungeachtet ihrer sozialen Stellung, ihrer Intelligenz, ob es Menschen, Tiere oder auch Pflanzen sind. Es ist auch die Geste der Dankbarkeit.
Johanna Schuh
In spirituellen Kreisen besteht manchmal die Tendenz, unreflektiert alle Rituale zu übernehmen, die einem vorgesetzt werden. Oft glauben die Schüler, die möglichst genaue Kopie einer fremdländischen Tradition sei gleichbedeutend mit der Lehre Buddhas. So entstehen leere Rituale. Ich wünsche in unserer Sangha, dass die Menschen solche Rituale immer wieder von neuem anschauen, ins Herz hineinspüren und sich fragen: Was ist meine Motivation bei diesem Ritual? Ist es noch mit Leben (mit Achtsamkeit) gefüllt, oder ist es nur noch Gewohnheit? Das brauchen keine langen Überlegungen zu sein und auch eine Dauerhinterfragung ist nicht nötig. Nein, es genügt, grundsätzlich offen zu sein für die Frage genauso wie für das einfache Ritual.
Marcel Geisser