Der menschliche Körper ist nicht bloss eine mit Atomen und Molekülen vollgestopfte Kiste. Er ist ein nach aussen offenes System und befindet sich in ständigem Austausch mit seiner Umgebung. Er ist kein Ding, sondern ein lebendiger Prozess. Was ihn belebt, ist Energie, die er in Form von Nahrung, Wasser, Licht und Luft aufnimmt.
Nun könnte man sagen, dass der Mensch laufend Energie verbraucht, was aber nicht ganz stimmt: er verwandelt sie. Die Gesamtmenge der im Universum vorhandenen Energie bleibt nämlich immer gleich. Sie wurde mit dem Urknall freigesetzt und hat sich seither nie mehr verändert. Das besagt der Energieerhaltungssatz. Energie kann weder erschaffen noch vernichtet, sondern nur von einer Form in eine andere umgewandelt werden.
Energie zeigt sich in vielen verschiedenen Formen, zum Beispiel als Bewegungsenergie, Wärmeenergie, chemische oder elektrische Energie. Diese Formen wechseln, eine Energieform kann in eine andere übergehen. Energie kann sogar in Materie transformiert werden – und umgekehrt Materie in Energie. Materie ist konzentrierte Energie, Energie ist verdünnte Materie.
Der Energieerhaltungssatz gilt für alle geschlossenen Systeme. Dazu gehört das Universum. Die Erde dagegen ist ein offenes System, deshalb können wir hier Energie gewinnen, aber auch verlieren. Die Rechnung geht erst im kosmischen Ganzen auf. Im Universum bleibt der Gesamtbetrag an Energie auf alle Zeiten immer gleich.
In einer Welt, die vom dauernden Werden und Vergehen bestimmt wird, ist eine solche Beständigkeit die grosse Ausnahme. Der Energieerhaltungssatz vermittelt einen Hauch von Ewigkeit: Die Energie, die in Ihnen lebendig ist, wird bis zum Ende des Universums – falls es je eines hat – bestehen bleiben. Mit ihr ist in Ihrem endlichen Leben etwas Unendliches gegenwärtig. Wenn es Sie schon lange nicht mehr gibt, gibt es immerhin noch Ihre Energie – beziehungsweise die Energie, die Ihnen für ein paar Jahrzehnte geschenkt worden ist. Ihre Hinterlassenschaft ist auch wohltuend neutral: Im Unterschied zur Esoterik gibt es in der Physik keine „gute“ oder „schlecht“ Energie, sondern einfach nur Energie.
Was aber passiert mit Ihrer Energie, wenn Sie einmal nicht mehr da sind? Sie zeigt sich in neuen Formen. In Bäumen, Wolken und Steinen. In Erdbeeren, Nashörnern und Menschen. Vielleicht auch in einer leuchtenden Sternschnuppe. Diese Gewissheit kann uns mit der Endlichkeit unserer Existenz versöhnen. Es geht etwas weiter.
Der vietnamesische Zen-Mönch Thich Nhat Hanh macht sich das jeden Tag mit einer kleinen Meditation bewusst: Tag für Tag betrachte ich alles um mich herum eingehend: die Bäume, die Berge, meine Freunde. In ihnen allen erkenne ich mich selbst, und ich weiss, ich werde nicht sterben. In vielen anderen Formen werde ich weiterleben.“
Lorenz Marti