Michel Bovay
Der Mensch leidet, Gefangener seiner Illusionen. Die Wurzel des Leidens ist die Illusion; Illusion wird zu Leiden. Der Mensch ist verstrickt in Gedanken, Sorgen, Ratlosigkeit, Angst, Verzweiflung. Er fühlt sich zurückgewiesen oder brennt vor heisser Liebe. Der Arme leidet, der Reiche leidet auch. Leiden hat nicht immer einen wirklich vorhandenen Anlass. Das Leiden, das der Geist erschafft, ist noch grösser. Wir müssen dieses Feuer des Geistes beobachten. Wenn wir verfolgt werden, wer legt das Feuer? Wir selbst! Die Hölle befindet sich nicht in einer anderen Welt, sie existiert in unserem eigenen Geist.
Auf den Wellen der Illusionen irrt der Mensch im Ozean des Lebens und des Todes umher, weil er zu sehr an seinem Ego haftet, an materiellen Dingen. Manchmal liebt man, manchmal hasst man, manchmal flieht man, manchmal läuft man etwas hinterher.
Wie soll man dieses Problem des Leidens lösen? Das ist die Frage, die sich Buddha Shakyamuni stellte. Die Menschen neigen dazu, das Leid vermeiden zu wollen und dem Glück nachzulaufen. Wenn man nur Glück sucht, kann man dem Leiden nicht entkommen. Schlimmer noch, man wird unfähig sein, Glück zu erleben, denn man wird immer voll Angst sein, es zu verlieren.
Es gibt keinen Ort, an dem man fliehen könnte vor Veränderung, Alter und Tod. Der Buddha-Zustand widersetzt sich nicht, lehnt nicht ab, fasst nach nichts. Kämpfen gegen Unvermeidbares zieht Leiden nach sich: Zazen gibt die Kraft, dies zu akzeptieren.
Daigu Ryokan sagte:
„Wenn du dem Unheil begegnest,
ist es gut dem Unheil zu begegnen.
Wenn du sterben musst,
ist es gut, zu sterben.
Das ist die wunderbare Art,
dem Unheil zu entkommen.“