Anschliessend an die Geschichte vom Zen-Meister Hakuin, dem ein Kind „untergeschoben“ wird geht Margrit Irgang auf die Aussage: “ der ein wahrhaft reines Leben führt“ ein.
Das Zen spricht von unserem ursprünglichen Geist als einen klaren Spiegel. Wenn der Spiegel keinen Staub angesetzt hat, spiegelt er das, was ist, genau so wie es ist. Staub verzerrt die Spiegelung, und „Staub“ sind unsere Gedanken, Vorstellungen, Wünsche und Abneigungen.
Ein reines Leben ist ein Leben als klarer Spiegel.
Ein Wahrnehmen dessen, was ist – genau so wie es ist, ohne es nach unseren Vorstellungen umzubiegen. Ein reines Leben ist ein Leben, in dem es kein „Ich“ als Bezugspunkt gibt.
Hakuin sah, dass ihm da keine Zumutung überreicht wurde, sondern ein Baby – Dann wurde es ihm weggenommen. Ich nehme an das der alte Zen-Meister traurig war. Das wird für ihn kein Problem gewesen sein. Traurigkeit ist da, Schmerz ist da, Einsamkeit ist da. Sie gehören zum menschlichen Leben, sie geben ihm Farbe, ob wir sie mögen oder nicht. Darunter zu leiden ist aber unnötig. Leiden entsteht in unserem Geist, durch unser Nicht-akzeptieren dessen was ist. Leiden ist Staub auf dem Spiegel.
Als die Mönche durch die falschen Anschuldigungen ( sie hätten eine junge Frau ermordet und sie im Klostergelände vergraben ) verwirrt und aus der Fassung gebracht waren, schickte sie Buddha auf den gewohnten Almosengang. Wir tun einfach das was zu tun ist, und lassen uns nicht von unerwarteten Ereignissen aus der Bahn werfen. Auf die Frage was Zen sei, pflegten die alten Zen-Meister ihren Schüler zu sagen, „Geh weiter!“ Der Schüler wurde damit keineswegs abgeschmettert, im Gegenteil; er wurde in die Praxis hinein-gestossen. Was sonst sollen wir tun, als weiterzugehen? Alles verändert sich unaufhörlich, wir können nicht zurück, wir können nicht einmal unbeweglich verharren, „Geh weiter!“ ist die tiefe Weisheit des Zen, und sie ist ein Zauberwort für die Praxis der Achtsamkeit. Wir werden tausend Mal aus der Achtsamkeit fallen, werden Namen und Daten vergessen, falsche Entscheidungen fällen, anderen Menschen nicht gerecht werden. Sollen wir uns die Haare raufen über unsere anscheinend unausrottbaren Unachtsamkeit? Sollen wir die Hände in den Schoss legen und aufhören zu praktizieren, weil ja doch alles keinen Zweck hat? Nein wir gehen einfach weitet, Schritt für Schritt.
Diese Metapher dürfen wir wörtlich nehmen; Ich weiss kein besseres Heilmittel gegen die Aufgwühltheit des Geistes als eine Gehmeditation.
Wenn mir wieder einmal jemand ein Baby untergejubelt hat, ziehe ich meine bequemen Schuhe an und gehe am Flussufer hinter meinem Haus entlang. Ich setze den linken Fuss auf das Gras und atme ein und setze den rechten und atme aus. Der Fuss rollt von der Ferse bis zu den Zehen ab, ich spüre die Kiesel zwischen den Grasbüscheln und den Wind auf meiner Haut. Ich sehe den Silberreiher im Schilf stehen und höre den Schrei des Eichelhähers.
Links – rechts – einatmen – ausatmen
So verbinde ich mich wieder mit dem Augenblick, mit seiner Schönheit, Wahrheit und Kraft.
Ich nähre die Samen der Gelassenheit in mir, und wenn ich nach Hause komme, kann es sein das ich mir die falsche Anschuldigung (Geschichte von Hakuin ) durch den Kopf gehen lasse und murmle “ ach tatsächlich?
aus Margrit Irgang – dieser Augenblick – Theseus