In einer Zen-Geschichte sagte einer alten Meister:
„Als ich ein junger Mann war und nichts vom Buddhismus wusste, waren die Berge Berge und die Flüsse Flüsse. Aber als ich anfing, ein wenig vom Buddhismus zu verstehen, waren die Berge nicht mehr Berge und die Flüsse nicht mehr Flüsse.“
Mit anderen Worten, wenn jemand anfängt wissenschaftliche und philosophische Nachforschungen anzustellen, wird durch die Frage nach den Ursachen alles wegerklärt. Oder man sieht, dass alle scheinbar getrennten Dinge der Welt in Wirklichkeit überhaupt nicht voneinander getrennt sind. Schliesslich kam der Zen-Meister jedoch zu der Einsicht, dass tatsächlich „die Berge Berge waren und die die Flüsse Flüsse“. Zen nennt das „direktes Deuten“. Es behauptet nicht, dass man die Welt sehen muss, ohne Ideen davon zu formen. Das würde zu weit gehen; aber es ist dennoch ein Schritt in der richtigen Richtung. Zen-Lehrer sprechen in höchsten Tönen von mushin, „Nicht-Bewusstsein“, oder munin, „Nicht-Gedanke“. Dies ist keine anti-intellektuelle Einstellung: Munin heisst nicht, überhaupt keine Gedanken zu haben. Ein normaler Mensch ist durch das Denken genauso verwirrt wie ein Universitätsprofessor; auch intellektuell kann man in einer nicht-gedanklichen Weise denken. Munin heisst: sich nicht durch Gedanken täuschen lassen: sich nicht hypnotisieren lassen durch die Art zu reden und die Bilder, die wir von der Welt haben; sich nicht hypnotisieren lassen zu der Annahme, dass die Welt tatsächlich so ist. Es bedeutet, die Möglichkeiten des Lebens nicht durch Worte zu limitieren. Ich besitze einen Fächer mit einer Inschrift, die ein hundert Jahre alter Zen-Meister geschrieben hat. Die Inschrift sagt: „Ich verstehe nicht – Ich verstehe gar nichts davon.“
Als Bodhidharma zu Ende des 5. Jahrhunderts nach China kam, lud ihn der Kaiser Wu ein, der ein grosser Freund des Buddhismus war. Der Kaiser sagte: „Wir haben viele Klöster bauen lassen, Mönche und Nonnen ausgebildet und Schriften ins Chinesische übersetzen lassen. Welcher Verdienst liegt darin?
Bodhidharma antwortete: „Gar kein Verdienst.“
Nun war die populäre Vorstellung des Buddhismus, dass man durch das Tun guter Dinge, religiöser Dinge, Verdienste erwerben konnte. Verdienste führten einen zu immer besseren zukünftigen Leben, so dass man schliesslich aus dem Rad der Wiedergeburten befreit werden konnte. Der Kaiser war also vor den Kopf gestossen, er sagte: „Was ist dann das erste Prinzip der Heiligen Lehre?“
Bodhidharma antwortete: „Völlige Leere und nicht Heiliges“. Oder: „In völliger Leere gibt es nichts Heiliges.“
Der Kaiser fragte: „Wer ist es dann, der vor uns steht?“ (implizierend: „ Hält man dich nicht für einen heiligen Mann?“)
Und Bodhidharma sagte: „Ich weiss es nicht.“
Ein Gedicht sagt:
Blumen pflückend, auf die sich Schmetterlinge setzen,
Sagt Bodhidharma, ich weiss nicht.
Ein anderes Gedicht:
Willst du wissen, woher die Blumen kommen –
Sogar der Gott des Frühlings weiss es nicht.
Du weisst nicht, wer du bist. Zu wissen, wer man ist, heisst, in der Lage zu sein, die eigene Nase zu riechen. Das ist der Grund, warum ein Zen-Meister, mit dem ich in Japan über den Text Shobo-genzo von Zen-Meister Dogen sprach, mir sagte: „Das ist ein schreckliches Buch. Es erklärt alles so genau. Es verdirbt die ganze Sache. Man braucht kein Buch für Zen.
„Das Geräusch des Regens braucht keine Übersetzung.“
Stellen Sie sich vor ihrem geistigen Auge den schönsten Berg vor, den Sie kennen, von dem Sie gehört oder den Sie sich vorstellen können. Werden Sie sich seiner massiven Form bewusst, des aufragenden Gipfels, des tief in der Erdkruste verwachsenen Fusses, seiner Steilhänge oder sanft abfallenden Bergflanken.
Was immer sein Erscheinungsbild auch sein mag – verweilen Sie, sitzen und atmen Sie mit diesem Bild vor ihrem geistigen Auge, jetzt, in diesem Augenblick. Während Sie hier sitzen und mit dem Berg atmen, erlauben Sie Ihrem Körper so auslandend zu werden wie der vorgestellte „Körper“ Ihres Berges, bis Sie mit ihm verschmelzen und eins werden. Ihr Kopf wird zum hoch aufragenden Gipfel, Schultern und Arme zu den Flanken, Gesäss und Beine zur soliden Basis.
In diesem Augenblick sind Sie nichts anderes als ein atmender Berg, der unbeweglich, unerschütterlich in der Stille von Körper und Geist verweilt. Tagein, tagaus verharrt der Berg in unerschütterlicher Ruhe, während die Sonne über den Himmel wandert, Licht, Schatten, Farben und Wetter sich ständig verändern. Der Berg verweilt einfach nur, ist einfach nur er selbst. Während die Jahreszeiten ineinander übergehen und das Wetter von Tag zu Tag, von Augenblick zu Augenblick wechselt, bleibt der Berg immer der Gleiche. Von alledem unberührt, verharrt der Berg, unberührt von oberflächlichen Geschehnissen, unberührt von der Welt der Erscheinungen.
Mit einem solchen Gefühl und dem Bild des Berges vor unserem geistigen Auge können wir in allen Dingen, die sich in unserem Leben ständig verändern, die gleiche unbeirrbare Ruhe verkörpern, in gleicher Weise verwurzelt sein. Sowohl in unserem Leben wie auch in der Meditation erfahren wir ununterbrochen die veränderliche Natur unseres Geistes, unseres Körpers, der äusseren Welt. In der äusseren wie auch in der inneren Welt, in unserem Geist, erleben wir Stürme unterschiedlicher Intensität und Gewalt. Starke Winde beuteln uns, Kälte und Regen suchen uns heim. Wir haben dunkle und schmerzvolle Zeiten auszuhalten, erfahren aber auch Augenblicke intensiver Freude, erhabene Augenblicke.
Wir können uns mit der Kraft und Festigkeit des Berges verbinden und sie uns aneignen, indem wir in der Meditation zum Berg werden. Wir können seine Energie dazu benützen, um unser Bemühen, jedem Augenblick achtsam, ausgeglichen und klar zu begegnen, Kraft zu verleihen. Dabei mag die Überlegung nützlich sein, dass es sich mit unseren Sorgen, Gedanken, Gefühlen, Gefühlsstürmen und Krisen, mit allem was uns zustösst, nicht anders verhält als mit dem ständig sich verändernden Wetter am Berg.
Wir neigen dazu, alles immer persönlich zu nehmen, dabei ist das kennzeichnende Merkmal all dieser Ereignisse ihre Unpersönlichkeit! Das Wetter in unserem Leben darf weder ignoriert noch verleugnet werden. Wenn wir nicht in ihm umkommen wollen, müssen wir uns ihm stellen, es respektieren, spüren; müssen es bewusst als das erkennen, was es ist. Dann ermöglichen wir uns inmitten aller Stürme die Erfahrung einer inneren Ruhe, Stille und Weisheit, die tiefer sind, als wir je für möglich gehalten hätten.
rating: 4 of 5 stars Dies ist ein sehr gelungenes Buch über die Buddhas der Zukunft und jeder der das liest, merkt bald, dass er /sie selber mit den Buddhas der Zukunft gemeint sind. Dieses Buch ist ein idealer Begleiter auf dem Weg des Buddha. Es enthält auch sehr viel Biographisches über den Autor und seinem Weg zum Zen-Meister.Vor allem predigt Marcel Geisser keine Religion,er zeigt uns einen machbaren Buddhistischer Weg im Alltag, mit sehr viel Mitgefühl und Weisheit und sehr vielem gesunden Menschenverstand. Immer wenn ich Hilfe auf meinem Buddhistischen Weg brauche, schlage irgend wo das Buch auf und finde wieder weiter auf meinem Weg. Dieses Buch kann ich allen wärmsten Empfehlen,es ist meiner Meinung nach eines der nützlichsten Buddhistischen Bücher die ich in lezter Zeit gelesen habe.