Die Versuchung liegt nahe, den Zen-Buddhisten für
gefühlsarm zu halten. Dies, weil er sich hütet, seine Gefühle zur Schau zu tragen, und sie nicht gerne in Worte kleidet.
Hinter dieser Wortscheu verbergen sich verschiedene Motive. Zunächst einmal die bewusst gepflegte, dann aber wie zum Instinkt gewordene Abneigung gegen die Unredlichkeit des Übertreibens. Er weiss infolge seines Werdeganges um die Gefahr, die mit dem Aussprechen von Gefühlen verbunden ist: dass man nämlich mehr ausdrückt, als man fühlt, und daher weniger meint, als man sagt. Zum andern ist er viel zu hellhörig, als dass ihm entgehen könnte, wie leicht es ist, sich von bedrängenden Gefühlen dadurch loszukaufen, dass man
sie äussert.
Hat man einmal dem, der schweres Leid erfahren hat, gesagt, wie innig Anteil man an seinem Schicksal nimmt, und spürt man, dass er sich durch diese teilnehmenden Worte aufgerichtet fühlt, dann vermeint man nur allzu leicht, man sei ihm und den Gefühlen für ihn durch dieses blosse Aussprechen gerecht geworden. Man verliert ihn aus dem Auge, bald nur noch wie aus weiter Ferne an ihn denkend, und wendet sich wieder den eigenen Angelegenheiten zu.
Zuletzt aber – und hier kommt das entscheidende Motiv zum Vorschein – ist der Zen-Buddhist weit davon entfernt,
Mitfreude und Mitleid nur auf den M e n s c h e n zu
beschränken. Er umgreift mit diesen Gefühlen a l l e s, was da lebt und webt: also auch Tiere und Pflanzen, und selbst die unscheinbarsten unter ihnen schliesst er nicht aus. Ihnen gegenüber bleibt das Wort ohnmächtig…
Der ZEN-WEG, Eugen Herrigel, O.W.Barth Verlag