… In die zur Zeremonie erhobene Auslegung der „Grossen Lehre“ des Bogenschiessens glitt ich von Tag zu Tag leichter hinein und führte sie auch mühelos aus, oder genauer gesagt,
ich fühlte mich durch sie hindurchgeführt wie etwa durch einen Traum. Insofern bestätigte sich, was der Meister vorausgesagt hatte. Dennoch konnte ich es nicht verhindern, dass die in sich selbst verlaufende Konzentration immer nur bis zu dem Augenblick reichte, in dem der Schuss fallen sollte.
Das wartende Verweilen in der höchsten Spannung
wurde nicht etwa nur müde, so dass es an Spannkraft verlor, sondern so unerträglich, dass ich aus der Versunkenheit immer wieder herausgerissen wurde und meine Aufmerksamkeit auf die Erwirkung des Abschusses richten musste.
„Unterlassen Sie es doch, an den Abschuss zu
denken“, rief der Meister aus. „So muss er misslingen! “
Ich kann nicht anders“, erwiderte ich, „die Spannung wird geradezu schmerzhaft.“
„Nur weil Sie nicht wahrhaft losgelöst von sich selbst sind, spüren Sie es. Dabei ist alles so einfach. Sie können von einem gewöhnlichen Bambusblatt lernen, worauf es ankommt.
Durch die Last des Schnees wird es herabgedrückt, immer tiefer. Plötzlich rutscht die Schneelast ab, ohne dass das Blatt sich gerührt hätte. Verweilen Sie, ihm gleich, in der höchsten Spannung, bis der Schuss fällt. So ist es in der Tat: wenn die
Spannung erfüllt ist, muss der Schuss fallen. Er muss vom Schützen abfallen wie die Schneelast vom Bambusblatt, noch ehe er es gedacht hat.“
Eugen Herrigel