Gelegentlich werde ich gefragt, was ich sehe beim Meditieren.
Ich sehe nichts. Und das mit offenen Augen. Es ist das Markenzeichen
des ZEN, dass man mit geöffneten Augen meditiert. Die Brücke zur
Aussenwelt wird nicht abgebrochen, aber auch nicht betreten. Man ist
durch alle Sinne mit der Welt verbunden, zugleich aber ganz nach
innen gekehrt. Dieser andere Blick bringt das Aussen mit dem Innen
zusammen, schafft eine Synthese.
Dabei gilt es, zwischen spiritueller Übung und Haltung zu
unterscheiden. Die Übung geschieht während einer bestimmten Zeit,
die man sich am Morgen und Abend nimmt…
Entscheidend ist aber nicht die Übung, sondern die Haltung, die sich
daraus ergibt und die sich auch im Alltag bewähren muss.
Auf die Übung kann ich pfeifen, wenn ich nur im Stillsitzen offen
bin. Andererseits gilt auch: Fehlt die Übung, geht die damit
verbundene Haltung mit der Zeit verloren. Ohne ein Minimum an
Meditationspraxis ist es illusorisch, im achtsamen Zustand zu bleiben.
In diesem Zustand der Achtsamkeit gelingt es, die Dinge
zusammenhängend zu sehen, vernetzt. Man merkt, wie alles
miteinander verbunden ist, wie Leben isoliert gar nicht denkbar ist.
Das sind Zusammenhänge, die sich auch mit den Erkenntnissen aus
den Naturwissenschaften decken.
So erfährt man die Welt als Stück von einem selbst. Eine Welt, die ich
selber bin, kann mir nicht gleichgültig sein, ich möchte Sorge für sie
tragen. Und diese Sorge bekommt der gefährdeten Schöpfung gut.
Niklaus Brantschen, Interview