Um unser Leben erforschen und verstehen zu können, müssen wir achtsam, wach und gegenwärtig sein. Tiefes Gewahrsein und stetige Achtsamkeit sind Voraussetzung, reichen aber nicht, um uns selber nachhaltig zu verändern. Es braucht auch das Kultivieren einer positiven inneren Haltung, durch die wir lernen, uns selbst und anderen auf weise und liebevolle Art zu begegnen. Es ist die innere Haltung der liebevollen Gelassenheit.
Eine Anleitung aus dem Zen schlägt vor:
Lass den Vogel im unermesslichen Himmel deiner Gelassenheit fliegen.
Befreie den Fisch im bodenlosen Ozean deiner Toleranz.
Gelassenheit, im Idealfall, ist frei von allen Formen von Anhaften oder Verlangen; frei auch von sämtlichen Formen der Abneigung oder des Hasses. Gelassene, gleichmütige Menschen sind auch frei von Verwirrung, aber nicht teilnahmslos,sondern lebendig und wach.
Gleichmut bedeutet, dass wir allen Situationen und Erfahrungen des Lebens mit gleichem Mut begegnen. Auch wenn wir keine grossen Zen-Meister sind können wir uns in der Qualität desGleichmutes, der heiteren Gelassenheit, in der Meditation und im Alltag üben.Wenn wir uns in Erwartung aussergewöhnlicher Zustände in die Meditation begeben oder hoffen, dabei schöne Gefühle zu finden, wenn wir sie mit Erwartungen und Befürchtungen angehen, verpassen wir den Angelpunkt der ganzen spirituelle Praxis. Wenn zum Beispiel in der Sitzmeditation die Schulter spannt, wenn das Knie sticht, wenn wir plötzlich Hitze oder Kälte empfinden, ist das nicht ein Fehler: vielmehr sind dies alles Gelegenheiten, Gelassenheit zu üben, anstatt sich innerlich zu wehren und immer wieder, merklich oder unmerklich, die Körperhaltung ein bisschen zu verändern, um dem Unbehagen auszuweichen. Wenn die Meditationserfahrung, andrerseits, endlich ruhig oder angenehm wird, ist das eine Gelegenheit, Gelassenheit zu üben und nicht Anlass dazu, das Gefühl festhalten oder verlängern zu wollen.
Wann immer Angst oder Freude, Einsamkeit oder Verbundenheit im Herzen entstehen: es ist eine Gelegenheit, Gleichmut zu üben.
Tibetische Meister geben eine inspirierende Illustration für diesen gelassenen Geist:
Der offene, weite Raum des Himmels fühlt sich nicht geschmeichelt durch den Regenbogen
und nicht erschüttert durch Regenwolken und Sturm.
Natürlich werden wir immer mal wieder aus dem Gleichgewicht fallen, immer mal wieder in unhilfreicher Weise reagieren. Entgegen unserem besseren Wissen und Verständnis werden wir immer wieder einmal von Ärger und Abneigung überflutet, von Anhaften und Verlangen gepackt. Das ist in Ordnung so und muss nicht gleich zu einem Problem gemacht werden! Sobald es uns aber gelingt, diese ungeschickte Reaktionsweise von Ärger oder Anhaften wahrzunehmen, dann ist es Zeit für gelassenes Verhalten, auch dieser Reaktion gegenüber, auch uns selber gegenüber. Nicht innere Straf-Aktionen, sondern Zuwendung ist dann gefragt. Werten und Verurteilen, Selbst-Kritik und Selbst-Bemängelung sind hier fehl am Platz.
Wenn wir klar erkennen und erfahren, dass nichts in diesem Dasein erfassbar ist, und wir mit liebevollem Gleichmut „loslassen“ oder „sein lassen“, dann erfahren wir das Leben, so wie es ist: voll und reich. Dann können wir uns dieser Zen-Nonne anschliessen, die sagte:
Nachdem mein Haus niedergebrannt war,
hatte ich eine unverbaute Sicht –
auf den Mond, bei Nacht.
30.04. 2011 Text von Fred von Allmen
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