Eines Tages kommt der hochgelehrte Philosoph Ryoku zu Zen-Meister Nansen und sagt:
„Es gibt da ein Koan das mich schon seit langem beschäftigt. Könnt ihr mir bitte helfen, das Problem zu lösen?“
“ Gut dann legt mal los“, sagt Meister Nansen.
Ryoku begann: „Also stellt euch vor, hier stünde eine grosse Flasche mit einer Öffnung, gerade so gross, dass man ein Gänseei hineinlegen könnte. Nach einiger Zeit bricht das Ei auf und es kommt ein Gänseküken heraus. Es wird immer grösser und auf einmal befindet sich eine ausgewachsene Gans in der Flasche. Nun frage ich euch: Wie bekommt ihr die die Gans aus der Flasche heraus ohne dass die Flasche Schaden erleidet?“
Meister Nansen ist für eine Weile still….plötzlich brüllt er mit lauter Stimme; „Ryoku!!“ so dass dieser zusammenzuckt – ja Meister? – „Schau – die Gans ist draussen!!
Der Philosoph hatte sich in dieses ganze gehirnakrobatische Rankengewirr des unterscheidenden, begrifflich Denken so heillos verfangen, dass es sich selbst zur Gans gemacht hat und sich so in seine selbstgeschaffene Flache hinein projiziert hatt. In der Praxis des Zens geht es deshalb darum zu erkennen, dass die Flasche – das heisst eure Selbstgeschaffene dualistischen Begrenzungen – nur eine Projektion des unterscheidenden, begrifflichen Denken ist. Hört einfach auf zu projizieren und seht die Dinge wie sie sind!
Im Zen geht es letztlich darum klar zu sehen, wach zu werden und schliesslich ganz aufzuwachen. Solange du träumst, befindest du dich in einem Traum – als Gans in der Flasche. Wenn du aber aufwachst, gibt es weder Gans noch Flasche.
Wenn ihr im mühelosen Gewahrsein des Geistes die unterscheidende, dualistische Sichtweise übersteigt, dann seid ihr in der natürlichen Klarheit und erlangt das allumfassende Bewusstsein.
Das einzige, was Unterscheidung schafft, das ist dieser ununterbrochene Wirbel von Gedanken, Vorstellungen und Begriffen, von Gefühlen und Konditionierungen imn Form von Verhaltensmustern und Denkmodellen.
Seid einfach so wie ihr seid – natürlich und spontan.Mushottoku – ohne Ziel und streben nach Gewinn – heisst es im Zen. Lasst euch ganz auf den gegenwärtigen Augenblick ein – hier und jetzt – und haltet nichts fest! Haltet euch auch nicht an der Stille fest, so dass euch irgendwelche Geräusche von aussen stören! hört ihr einen Ton – dann seid ganz der Ton. Werdet selbst zum Geräusch eines vorbeifahrenden Autos, werdet zum Gesang des Vogels und zum Bellen des Hundes.
Was es auch sei, alles ist das Eine, – der Wahrnehmende, der Wahrnehmungsprozess und das Wahrgenommene – alles ist eine einzige Wirklichkeit. Alles ist der eine Geist, neben dem nichts anderes existiert.
Lass nichts – und sei es noch so heilig und voller philosophischer Weisheit – zwischen dich und die direkte unmittelbare Erfahrung deines wahren Wesens treten.
Zen ist ein Leben ohne Fesseln, ein Leben in Freiheit und ist die Freiheit selbst.